Agile Methoden in komplexen Großprojekten

Hier verfügbar: Der ganze Artikel aus der Fachzeitschrift PROJEKTMANGEMENT AKTUELL der GPM

Im welchen Verhältnis stehen Agile und Klassische Methoden des Projektmanagement? Schließen sich die Methoden gegenseitig aus? Gibt es Übergänge oder gibt es für jede Methode den klaren Anwendungsfall?

Dabei garantieren die unterschiedlichen Autoren den branchenübergreifenden Hintergrund vom internationalen Großanlagenbau über die Baubranche, die Offshore Windenergie bis hin zum IT- und Softwarebereich.

FÜR EILIGE LESER

Große Investitionsprojekte unterliegen trotz oder gerade wegen langer Laufzeiten dynamischen Veränderungen. In Anlehnung an die Entwicklung im Software (SW)-Bereich kommen zunehmend agile Methoden zum Einsatz.

Auch aufgrund der oft vertraglich fixierten Ziele kann bei Großprojekten auf klassische Methoden in der Regel nicht verzichtet werden. Agile Methoden bieten allerdings einen erweiterten Managementansatz, um Großprojekte fit zu machen für die immer komplexeren und volatilen Umwelten. Die Etablierung eines agilen Mindsets ist hierfür unumstritten. Dies hat allerdings erhebliche Auswirkungen auf den Führungsstil und das Projektcontrolling.

KEYWORDS

Agile Management, Building Information Modeling, Leadership, Agile Mindset, klassisches Projektmanagement, hybride Methoden, Digitalisierung, Parametrisches Engineering. High-Performance -Teams, Dilts-Pyramide, Stacey-Matrix

1.    Einleitung/Motivation

Agile Management ist im Softwarebereich nicht mehr wegzudenken. Konsistente Abwicklungsmodelle auch für große, komplexe Softwarevorhaben liegen vor, sorgen für eine schnellere und oft auch kostengünstigere Abwicklung dieser Vorhaben. Die Digitalisierung ‚entmaterialisiert‘ aber auch klassische Hardwareprojekte und dies gleich in doppelter Hinsicht:

  • Der Softwareanteil nimmt zu und bestimmt zunehmend die Produkteigenschaften.
  • Die Abwicklung selbst wird intensiv durch komplexe Software-Systeme unterstützt. Eine Entwicklung, die in Zeiten der Corona-Pandemie dazu führt, dass selbst Projekte mit einem Milliardenbudget aus dem Homeoffice heraus abgewickelt werden.

Auch Investitionsprojekte unterliegen einer immer stärkeren Änderungsdynamik. Zwar ist eine Veränderung der Projektziele nicht in dem Maße möglich wie in der  Softwareentwicklung, dennoch steigen die Ansprüche an die Projektabwicklung. In Zeiten der Globalisierung, Digitalisierung und Automatisierung werden Projekte und das Umfeld komplexer und volatiler.

Da liegt es nahe, das ursprünglich im Softwarebereich entwickelte Agile Management auch auf diese Bereiche zu übertragen. Im Rahmen dieses Artikels werden die Möglichkeiten und Grenzen dieser Übertragung und der Kombination agiler und klassischer Methoden zur Abwicklung komplexer, großer Investitionsvorhaben hinterfragt.

2.    Äuswirkungen des parametrischen Engineering

Besonders die Baubranche, welche traditionell von stark hierarchischen Strukturen geprägt ist, befindet sich aktuell im Umbruch. Die Digitalisierung, welche insbesondere durch die zunehmende Einführung von Building Information Modeling (BIM) eingeläutet wurde, erfordert ein parametrisches Engineering mit weitgehenden Änderungen der technischen Abwicklung, der erforderlichen Kompetenzen der Beteiligten, der Planungsprozesse und damit neuer Denkweisen und Methoden.

BIM stellt eine kooperative Arbeitsmethodik dar, die die Inhalte der klassischen Leistungsphasen ändert. Das parametrische Engineering erfordert eine frühzeitige Konkretisierungen und verlagert somit Inhalte der späten Leistungsphasen, wie sie in der HOAI (Honorarordnung für Archtekten und Ingenieure) definiert sind, in frühere.

Die notwendige, kooperative Arbeitsmethodik und die Verwendung eines parametrischen Modells führt in Konsequenz zu einem Paradigmenwechsel in der Bauwirtschaft, der nicht ohne Konsequenz auf HOAI und VOB (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen) bleiben kann.

Dieser Entwicklung trägt auch der Stufenplan des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMVI) Rechnung. Die höhere Planungsqualität in den Frühphasen soll zur Erhöhung der Kostensicherheit sowie der Qualitäts- und Termintreue führen.

In letzter Konsequenz führt dieser Lösungsansatz zu einem „digitalen Zwilling“, wodurch erhöhte Planungsqualität und -sicherheit zu Vorteilen über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes werden [1].

Um dieses Ziel erfolgreich umzusetzen, entstehen neue Herausforderungen im

  • soziotechnischen Umfeld durch ein komplexes Änderungsmanagement,
  • Projektmanagementumfeld durch veränderte Projektabläufe und einen wesentlich höheren Aufwand von Moderations- und Koordinationsleistungen. Hinzu kommt das Leistungsbild 7 – „BIM Management“ [2],
  • Umfeld der Nutzung neuer Systeme und dem damit einhergehenden Verlust von Erfahrung in der Gestaltung eines Objektes.
 

Das parametrische Enginierung führt zu einer Verdichtung des Planungsprozesses und einer höheren Integration der am Planungsprozess Beteiligten. Schnelle Kommunikation und eine gute, kooperative Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinweg werden zu den entscheidenden Erfolgsfaktoren. Eine Entwicklung, die auch in anderen Branchen greift.

3.    Lean Construction, digitale Tools und agile Methoden

Um dieser Entwicklung gerecht zu werden, kommen im Rahmen von Bauprojekten zunehmend Methoden aus dem Lean Construction zur Anwendung. Darunter wird die Übertragung der Lean Prinzipien aus der Automobilbranche verstanden, welche ursprünglich auf dem Toyota Production System (TPS) basieren. Insbesondere in der Bauausführungsphase werden mit Methoden wie der Taktsteuerung und dem Last Planner System (LPS) positive Erfahrungen gesammelt. Auf diese Weise wird die Verbindlichkeit und das Commitment von terminlichen Zusagen signifikant gesteigert und somit die Verzahnung der Arbeiten unterschiedlicher Gewerke optimiert [3].

Vor dem Hintergrund der Digitalisierung der Prozesse sowie der Einführung der dreidimensionalen, parametrischen Modellierung unter dem Begriff des BIM können durch die Einführung agiler Methoden – auch in der Planungsphase von Bauprojekten – gewinnbringende Synergieeffekte entstehen [5]. Die durch die HOAI vorgegebenen Grenzen der nacheinander abzuarbeitenden Leistungsphasen verschwimmen zunehmend, die lineare Vorgehensweise nach dem zugrunde liegenden Wasserfallmodell ist kritisch zu hinterfragen.

Darüber hinaus kommt das Arbeiten mit sogenannten Use Cases oder Anwendungsfällen, welches im BIM Planungsprozess verankert ist, dem agilen Arbeiten mithilfe von User Stories entgegen. Ein Vorgehen in Anlehnung an die aus der Softwareentwicklung bekannte Scrum-Methodik kann Planungsteams dabei unterstützen, im Projektverlauf mit Änderungen umzugehen.

Um wendige Teams, schnelle Entscheidungen und einen dynamischen Umgang mit Änderungen voranzutreiben und zugleich den Ansprüchen und Bedürfnissen von Stakeholdern wie Investoren, Banken, Behörden und Lenkungskreisen zu genügen, können die Vorteile beider Managementwelten miteinander vereint werden. Die klassischen Managementmethoden können dabei durch agile Elemente angereichert und ergänzt werden. Hybride Managementmodelle können somit eine angemessene Antwort auf die gestiegene Komplexität in Großprojekten darstellen [6]. Die zeitlichen Zusammenhänge über einen Projektstrukturplan und ein Gantt-Chart transparent zu machen, schließt es bspw. nicht aus, das Rollenverständnis, die dezentralisierten Verantwortlichkeiten und das Backlog-Prinzip gemäß der Scrum-Methodik abzubilden.

Um den besonderen Rahmenbedingungen in Bauprojekten gerecht zu werden, sind agile Techniken jedoch gezielt auszuwählen und bei Bedarf branchen- sowie projektspezifisch anzupassen, um einen harmonischen hybriden Gesamtansatz zu entwerfen.

4.    Agiler Mindsets in der Abwicklung von Großprojekten

In jedem Bauprojekt führt die individuelle Kombination der Projektbeteiligten auch hinsichtlich der zwischenmenschlichen Beziehungen zu neuen Herausforderungen. Nicht allein Expertise und Fachwissen führen zum Erfolg, sondern Soft-Skills und zwischenmenschliches Geschick sind ebenso entscheidend. Im agilen Mindset wird der Mensch ausdrücklich in den Fokus gerückt. Durch einen transformationalen Führungsstil und offene Kommunikation wird eine Atmosphäre geschaffen, in der das Team effektiv kollaboriert und die Erfolgsaussichten des Projekts systematisch gesteigert werden [7].

Ein entscheidender Faktor ist die Unternehmens- und Projektkultur. Diese wird maßgeblich durch die Organisationsform und die vertraglichen Strukturen in einem Projekt beeinflusst, jedoch ebenso durch die Werte und Überzeugungen der Akteure geprägt. Als die wichtigsten Funktionen dieser Kultur werden die Sensibilisierungsfunktion, die Abgrenzungsfunktion, die Integrations- und Identifikationsfunktion, die Orientierungsfunktion, die Steuerungsfunktion und die Stabilisierungsfunktion genannt [8].

Ein Modell zur Erklärung von Veränderungsprozessen ist die von R. Dilts in den 1980er-Jahren entwickelte Pyramide, die aus verschiedenen, sich gegenseitig beeinflussenden Ebenen besteht. (siehe Abbildung 1).  Das Modell postuliert eine Wirkungsweise der Ebenen von oben nach unten, sodass für eine tiefgreifende Veränderung daher tendenziell auf der obersten Ebene der Pyramide interveniert werden sollte. Die Dilts Pyramide kann im Rahmen einer agilen Transformation herangezogen werden, um die Wirkungsweisen von Veränderungsprozessen in Organisationen zu verstehen. So kann das Etablieren eines agiles Mindsets als ein erster Impuls für agiles Arbeiten in selbstorganisierten Teams fungieren [9].Der Management 4.0 Ansatz der Fachgruppe ‚Agile Management‘ der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement (GPM) kann dabei unterstützen, den agilen Transformationsprozess in Unternehmen voranzutreiben [10].

Agilität in Großprojekten

Dilts Pyramide [Abb. 1][11]

Demnach ist ein kultureller Wandel erforderlich, der über sämtliche Ebenen und bestenfalls auch über die Untermnehmensgrenzen hinweg getragen werden muss, um agile Methoden sinnvoll im Großprojekt zu verankern. Die Erarbeitung eines gemeinschaftlich getragenen Wertegerüsts sowie die Etablierung einer zeitgemäßen Fehler- und Führungskultur ist dabei unerlässlich.

5.    Einfluss auf Führung und Leadership

Je nach Projektumgebung ist ein unterschiedlicher Anwendungsmix aus klassischen und agilen Methoden für eine erfolgreiche Projektabwicklung erforderlich. Es geht um den adäquaten Einsatz der jeweiligen Methoden vor dem Hintergrund eine anderen, erweiterten Projektlandschaft.

Die Stacey-Matrix (siehe Abbildung 2) zeigt die Anwendungsbereiche klassischer und agiler Managementmethoden in einer vereinfachten Darstellung [12]. Sind Ziel und Weg bekannt, sind die Verhältnisse einfach. Klassische Planungsmethoden greifen. Werden Ziel und Weg mehr und mehr unbekannt, durchschreiten wir die Bereiche vom einfachen bis in den chaotischen Bereich hinein. Mit Zunahme der Komolgorov-Entropie [13] steigt die Unsicherheit und damit die Vorhersagbarkeit des Geschehens, wie es in der Abbildung 3 verdeutlicht wird.

Agilität in Großprojekten

Abb. 2: Stacey-Matrix [12]

Abb. 3 Diagonale der Stacey-Matrix – angelehnt an [14]

Bei sich wiederholenden Aufgaben und Zielen, bilden sich Routinen aus. Eine bürokratische Abwicklung bietet sich an. Das klassische Projektmanagement ermöglicht eine erste Flexibilisierung. Mit zunehmender Unsicherheit greifen klassischen Ansätze jedoch immer weniger. Bis in den leicht chaotischen Bereich bieten Empowerment, Selbstmanagement und das Agile Management den richtigen Rahmen für eine erfolgreiche Abwicklung.

Bis in den Bereich des Agile Management beobachtet man  eine Zunahme der Reaktionsfähigkeit des Teams. Dies ist begleitet von einer Reduktion des Managementaufwands: Eindeutig die Domäne der High-Performance-Teams.

In stark chaotischen Bereichen ist eine Vorausplanung unmöglich. Iterative Vorgehensweisen im Sinne eines Try & Errors stehen im Vordergrund. Die Verhältnisse kehren sich um: Dem hohen Managementaufwand gerade auch im Controlling zum Monitoring der Projektergebnisse und des Umfeldes steht eine geringe Fähigkeit zur zielgerichteten Aktion gegenüber (siehe auch Kapitel 6 mit dem Hinweis zum Konfigurationsmanagement).

Je nach Projektumfeld und -phase sollten also unterschiedliche Managementmethoden zum Einsatz kommen. Gerade in frühen Projektphasen bieten sich iterative Vorgehensweisen zur Ziel- und Wegfindung an, während in späteren Phasen klassischen Methoden der Vorzug gegeben wird. Sofern sinnvoll, kann ein klassischer Ansatz auch bewusst aufgegeben werden, um z. B. eine Baustelle operativ agil zu führen. Dies bietet die Möglichkeit, die vielfältigen Beteiligten über Mechanismen der Selbstorganisation effizienter zu managen – allerdings um den Preis einer reduzierten Kontrolle und Sicherheit.

Darüberhinaus besteht die Möglichkeit, unterschiedliche Projektbereiche zur gleichen Zeit unterschiedlich zu managen. Damit stellt sich die Frage der effektiven Synchronisation und Koordination. Hilfreich ist, dass unabhängig von der gewählten Methode agiles, klassisches und damit auch hybrides Management auf einem PDCA-Zyklus (Plan, Do Check, Act) beruht, der über die Zyklusdauer synchronisiert werden kann. So ist z. B. die Synchronisierung des klassischen Reporting- und Controlling-Zyklus mit dem des Sprint-Zyklus naheliegend.

Mit dieser Managementkonzeption verändern sich nicht nur die Anforderung an das Controlling und die Synchronisation. Auch die Führung derartiger Projekte unterliegt neuen Herausforderungen. Klassisch wird der kompetente Projektleiter gesucht, der Menschen und Ressourcen organisiert. Aus Sicht des agilen Managements muss er in der Lage sein, Visionen zu vermitteln und eine strukturell-systemische Führungskultur zu etablieren. Je stärker das agile Management überwiegt, desto mehr ist die Abgabe von Führungskompetenz an das Team und eine systemisch, fehlertolerante Führung [15] gefragt. Dies ist sicher nur erfolgreich, wenn ein entsprechend Agiler Mindset (siehe Kapitel 4), der Änderungen begrüßt und als Chance begreift, im gesamten Projekt verankert ist. Aus Sicht des Projektleiters bzw. des (Top-)Managements verlangt dies eine fehlertolerante Führung, wie Sie bereits von Farson und Keyes 2002 [15] vorgeschlagen wurde. Diese Toleranz bezieht sich dabei auf die Lösungsfindung im Rahmen der jeweiligen Managementaufgabe.

In komplexen, schwer zu überschaubaren und schwer vorhersagbaren Projekten ist Innovation und Experimentierfreude gefragt. Ganz im Sinne von T. Watson, IBM: ‚The fastest way to success is to double your failure rate‘ [15] kann sich der zunächst eingeschlagene Weg als falsch erweisen und dennoch zum Motor besserer Lösungen werden.

Gemäß der Untersuchung von J. Collins [16] zeichnen sich besonders erfolgreiche Führungskräfte als Level 5: ‚Executives‘ durch eine paradoxe Mischung aus persönlicher Bescheidenheit und professionellem Willen aus – eine Konzeption, die auf Großprojektleiter übertragen werden kann und es ihnen ermöglicht, in beiden Welten erfolgreich zu sein.

6.    Schnittstellen agiler, klassischer und hybrider Methoden

Wenn wir uns im Rahmen der Projektgestaltung mit der Wahl der passenden Methoden auseinandersetzen, ist die Art des Produktes entscheidend [17]. Bei Großprojekten in der Baubranche sind hier vier verschiedene Produktarten als Teile des Gewerks zu nennen, die im Projektverlauf abzustimmen und zu harmonisieren sind:

  • Hardware als Gebäude
  • Hardware als technische Anlagen
  • Software für das Gebäude
  • Software für technische Anlagen
  • regulatorische Evaluierungen

In Großprojekten arbeiten unterschiedliche Firmen mit verschiedenen Prozesslandschaften zusammen. Sie brauchen frühzeitig eine gemeinsame Plattform. Die Prozessverantwortung liegt dabei beim Bauherren, der die Prozesse für alle Teilnehmer zugänglich macht. Cloudlösungen bieten sich an, da sie die Agilität steigern, wenn die Prozesse durch das papierlose Format flexibel gehalten und Optimierungen mit kurzen Abstimmungszyklen ermöglicht werden.

Die regulatorischen Evaluierungen werden oft in der Planung vernachlässigt, dabei haben sie starken Einfluss auf die Wahl der Methoden und Vorgehensmodelle. Es ist wichtig bei der Projektinitiierung auch die behördlichen Zulassungsbestimmungen einzubeziehen. Die Agilität besteht hier darin, Anforderungen anfangs bewusst grob zu definieren, das Projekt genau zu beobachten und die Anforderungen bis zu der Inbetriebnahme (im Rahmen der regulatorischen Möglichkeiten) zunehmend zu verfeinern. Es handelt sich also um eine Projektbegleitung, welche die Hardware- und Software-Teams zum rechtskonformen Handeln anleitet.

Während in der Hardware-Produktentwicklung von Geräten oder Maschinen Prototypen oder Funktionsmuster hergestellt werden, geht dies in der Bau- und Großanlagenplanung nur bedingt. Der Entwurf kann durch Anforderungen vom Kunden oder regulatorische Anforderungen mehrfach geändert werden, aber es gibt nur geanu eine Implementierung.

Um mit agilen Methoden in der Hardware das Endergebnis auf die gesammelten Kundenwünsche zu steuern, wird dies mit anderen Methoden als der Software erreicht. Gemeinsam ist, dass mit Zyklen gearbeitet wird, wobei dem Kunden im Gegensatz zur Softwareentwicklung kein funktionsfähiges Produkt, sondern ein „digitaler Zwilling“ zur Verfügung gestellt wird. Im Terminus der agilen Methoden könnte man von Quasi-Artefakten sprechen, die durch computergestützte Simulationen erstellt werden. Zum Teil sind es auch Einheiten, die als Modul getestet werden und so die abschließende Inbetriebnahme erleichtern. Erreicht wird, dass komplexe Projekte durch die Modularisierung in zeitlich überschaubare Etappenziele unterteilt werden und das Ziel sich gegebenenfalls auch nach Beginn der Implementierung auf Kundenwünsche oder veränderte Randbedingungen anpassen lässt. Entscheidend ist hierbei jedoch ein klassisches Konfigurationsmanagement, um die Einführung und den Abschluss der Einzeländerungen nachzuverfolgenn und genehmigungsfähig zu halten. Dennoch kann die hierarchische Führung durch kommunizierende Teams abgelöst werden.

Ein weiterer Aspekt liegt bei der Verantwortung der Entwicklungseingabe, also Kundenwünschen und regulatorischen Randbedingungen. Software und Hardware sind voneinander abhängig: Das eine Team ist des anderen Kunden. Ist der Grundprozess gemäß Scrum aufgebaut, ergeben sich folgende Konsequenzen: Das Softwareteam möchte den aktuellsten Stand der Hardware (auch wenn es nur ein Modell ist) nutzen. Daher ist es von Vorteil, wenn der Product-Owner der Hardware aus dem Software-Team kommt. Entsprechend sollte der Product-Owner der Software aus der Hardware kommen, um die Software-Anforderungen zur Hardware-Architektur zu definieren bzw. zu genehmigen. Die jeweiligen Scrum-Master der Teams sind angehalten, auch das Geschehen der anderen Teams im Blick zu behalten und das eigene Team zu unterrichten und zu coachen.

Das gleiche gilt für die Einbindung des Entwicklungs-Teams der Gebäude-Hardware. Die Gebäudearchitektur-Pläne bleiben teilweise offen. Es wird eine Optimierung der HW/SW-Schnittstelle des Gesamtsystems erreicht, welche mit einer rein konventionellen Vorgehensweise nicht möglich wäre. Die Teams tauschen sich direkt über Probleme aus und so kann entschieden werden, auf welchem System-Level, Hardware oder Software, der Kundenwunsch am einfachsten umgesetzt wird. Sicherheitskritische Projekte lösen sich vom Wasserfallmodell und gehen in eine dem V-Modell entsprechende Verifikation und Validierung über. Entscheidend hierfür ist, beiden Teams ein leicht zugängliches Konfigurationsmanagement zur Verfügung zu stellen.

Agil bedeutet u.a. den Lösungsraum bewusst offen zu lassen. Jede Entscheidung, erst recht bei einer Entscheidung zur Hardwareauslegung, ist die Näherung an das Ziel mit dem Ausschluss von Optionen verbunden. Der Vorteil dieses Vorgehens zeigt sich, wenn sich durch die Iteration neue Erkenntnisse ergeben, welche kommende Iterationen erleichtern. Dementsprechend sind Design-Reviews der bestehenden Prototypen und BIM-Modelle notwendig, um sich die wertvollen Erkenntnisse bewusst zu machen. Die Planungs- und Konzeptionsphase verschmelzen und erreichen, dass die Komplexität des noch vorliegenden Projektes zunehmend abnimmt. Zum Teil ergeben sich auch durch Entscheidungen zur Auslegung der ersten drei Produktarten Veränderungen zur abschließenden Evaluierung und den regulatorischen Anforderungen, die anfangs noch nicht abzusehen waren. Entscheidend ist, die Transparenz der Teams zueinander und eine konsequente Abstimmung der begleitenden Projektkommunikation sowie der daraus resultierenden Dokumentation. Am Ende steht eine rechtskonforme Inbetriebnahme, bei der alle Entscheidungen getroffen und bestätigt sind.

7.    Zusammenfassung

Zum jetzigen Zeitpunkt lassen sich die Ergebnisse wie folgt zusammenfassen:

Auch bei großen Investitionsvorhaben ist die Anwendung agiler Methoden sinnvoll oder gar geboten. Die Etablierung eines agilen Mindsets ist wesentlich [10]. Agile und klassische Methoden werden parallel oder in unterschiedlichen Projektphasen eingesetzt. In Übergangsbereichen vom klassischen zum agilen Management kommt es zu hybriden Managementansätzen. All das bleibt nicht ohne Einfluss auf die Führungskultur sowie erforderliche Qualifikation des Führungspersonals in Großprojekten.

Es gibt Grenzen der Anwendung agiler Methoden:

– Im Bereich einfacher, aber auch komplizierter Managementbereiche (siehe Stacey-Matrix) haben sich klassische Methoden bewährt und bleiben effektiv.

– Im Gegensatz zum Softwarebereich lassen sich Ziele nicht so einfach in nutzbare Teillösungen herunterbrechen. Dies erschwert die Abarbeitung in verschiedenen, parallel arbeitenden Teams.

– Regulatorische und dokumentarische Vorschriften stehen einer alleinigen Anwendung agiler Methoden entgegen.

– Nicht zu unterschätzen ist der erhöhte Synchronisations- und Abstimmungsaufwand je weiter sich das Projektumfeld dem chaotischen Bereich zuordnen lässt . Die Wechselwirkungen des Umfelds auf das Projekt mit seiner Änderungsdynamik sind umfassend zu berücksichtigen.

 
 

Danksagung

Der vorliegende Artikel wäre nicht zustande gekommen ohne die tatkräftige Unterstützung der Fachgruppe Agile Management der GPM. Hiermit danken wir allen Gruppenmitgliedern für die anregenden Anstöße und Diskussionen.

Autoren:

Dipl.-Physiker Volker Engelke (MBA), Katharina Lennartz, wissschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bauphysik RWTH Aachen, Dipl.-Ing. Ulrich von Knobloch, Dr.-Ing. Matthias-Marcus Wanner, M.Sc. 

  
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Literaturverzeichnis

[1]                Lutz Bettels, Der digitale Zwilling. Deutsche Bauzeitung 01, 2020 https://www.dbz.de/artikel/dbz_Der_digitale_Zwilling_3472174.html, 01.06.2021

[2]                Bodden, Jörg; Elixmann, Robert;  Eschenbruch, Klaus (Hrsg.):, BIM-Leistungsbilder, 2. Auflage, Kapellmann Rechtsanwälte, 2017

[3]                Fiedler, Martin: Lean Construction – Das Managementhandbuch. Springer Gabler, Berlin 2018

[4]                Preuß, Norbert (2013): Projektmanagement von Immobilienprojekten. 2. Auflage, Springer Vieweg, Berlin, 2013 

[5]                Sommer, Hans: Projektmanagement im Hochbau, 4. Auflage, Springer Vieweg, Berlin, 2016 

[6]                Marquart, Reiner; Pifczyk, Alexander: Hybrides Projektmanagement. Deutsches Ingenieurblatt, Heft Nr. 4, S. 38-41, 2021 

[7]                Polzin, Brigitte; Weigl, Herre: Führung, Kommunikation und Teamentwicklung im Bauwesen. 2. Auflage, Springer Vieweg, Wiesbaden, 2014 

[8]                Homma, Norbert; Bauschke, Rafael: Unternehmenskultur und Führung. 2. Auflage, Springer Gabler, Wiesbaden, 2015 

[9]                Tuczek, H.; Flore, A.; Nuhn, H.F.R.; Schaffitzel, N. (): A systematic approach to agile management and self-organization for a sustainable transformation of organizations. In: Ronggui, D.; Wagner, R.; Bodea, C.N. (Eds.) (2021): Research on Project, Programme and Portfolio Management. Projects as Arena for Self-organizing. Springer, London, 2021 

[10]              Oswald, A; Müller, W.: Management 4.0: Handbook for Agile Practices. Release 3, Book on Demand, Norderstedt, 2019

[11]              Dilts, Robert B. (2014): A Brief History of Logical Levels,
http://www.nlpu.com/Articles/LevelsSummary.htm, 31.05.2021 

[12]              Stacey, R.D.: Strategic Management & Organisational Dynamics: The Challenge of Complexity. Prentice Hall,  Harlow, 5. Auflage, 1996

[13]              Engelke, V.: Chaos und Projektmanagement – Ein Beitrag zur Entwicklung eines neuen PM – Verständnisses, Fachzeitschrift ‚Projekt Management’ 4/96 der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement (GPM), TÜV-Verlag, Köln, 1996

[14]              Oswald, A.; Köhler, J.; Schmitt, R.:  PM am Rande des Chaos. Springer-Verlag, Heidelberg, 2016

[15]              Farson, R.; Keyes, R.: The Failure-Tolerant Leader. Harvard Business Review, 80 (8), Brighton, S. 64-71, 2002

[16]              Collins, J.: Level 5 Leadership: The Triumph of Humility and Fierce Resolve. Harvard Business Review, 79, Brighton, S. 67-76, 2001

[17]              Maximini, D.: Scrum – Einführung in der Unternehmenspraxis. Springer Gabler, Berlin, 2018

Abildungen

Eingangsbild: Großanlagenbau © Volker Engelke

Abb. 1.: Dilts Pyramide [11]

Abb. 2.: Stacey-Matrix [12]

Abb.3.: Diagonale der Stacey-Matrix – angelehnt an [14] – Connectment GmbH